Lange Zeit dachte man, dass die Nachfahren des berühmten Multitalents Leonardo Da Vinci ausgestorben seien. Aber ist das wirklich so? Der pedaliéro hat sich auf Spurensuche begeben, in Labore und Kämmerlein geschaut, hinter Firmentüren und in Entwicklerbüros geblickt, um dem Geist des Genies nachzuspüren. Gefunden haben wir einiges, visionäre Köpfe und Ideen, verteilt über alle Bereiche der Fahrradindustrie, die sich anschicken dieses Erbe weiterzutragen. In der Rubrik „Da Vincis Erben!“ lassen wir die Menschen zu Wort kommen, die unseren Sport maßgeblich nach vorne bringen. Vorhang auf!
In der ersten Folge wollen wir einen Blick ins Innere von Rotwild werfen. Als echte eMTB-Pioniere sind sie Wegbereiter des integrierten Rahmendesigns bei elektrisch unterstützten Mountainbikes und können auf eine Armada ausgezeichneter Räder verweisen. Rotwild befindet sich unter dem Dach der Firma ADP Engineering. Das in Dieburg bei Frankfurt gelegene Ingenieursbüro ist seit über 20 Jahren einer der führenden Technologieanbieter und Dienstleister in der Fahrradbranche. Wir haben uns zum Gespräch mit Geschäftsführer Peter Schlitt und Entwickler David Doenigus getroffen, die uns bestens gelaunt gegenübersitzen.
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pedaliéro:
Peter, Rotwild war eine der ersten Firmen, die sehr früh und sehr seriös auf das Thema eMTB gesetzt hat. Hattet ihr anfangs Befürchtungen, dass der Zug, der noch gar nicht richtig losgefahren war, nicht in Gang kommt? Peter Schlitt: Ehrlich gesagt, sind wir da sehr emotional und blauäugig rangegangen. Wir sind zum Glück ja sehr klein und damit unabhängig und können schon mal Dinge tun, die andere nicht machen können. Wir haben immer versucht, Produkte zu bauen, die Spaß machen, in der Hoffnung, dass sie irgendjemand kauft. Insofern war auch die Verlagerung auf eMTB eine echte Gratwanderung, insbesondere, das Wachstum zu stemmen. Wir haben bei gleicher Stückzahl den Umsatz verdoppelt, und das muss auch erst einmal vorfinanziert werden. Im ersten Jahr haben wir viel Lehrgeld zahlen müssen. Es gab noch keine Pioniere, niemand den wir hätten fragen können, an dem wir uns hätten orientieren können. pedaliéro: Was bedeutet so ein Erfolg für eine Firma wie Rotwild? PS: Das eBike hat der Marke Rotwild extrem geholfen. Als wir vor 22 Jahren angefangen haben, waren wir eine der wenigen Marken, die ein funktionierendes Fully hatten. Das hat uns einen Impuls gegeben, die Firma vorangebracht und uns einen Vorsprung verschafft. Mit dem eMTB sehe ich uns in einer ähnlichen Situation. Wir waren eine der ersten Marken, die eine Antriebseinheit in ein Fahrrad integriert hat – und nicht um einen Motor ein Fahrrad gebaut hat. Das hat uns wieder einen Vorsprung verschafft, weil es konsequent war. |
pedaliéro:
Wie ist es euch gelungen, die Kunden mitzunehmen und den Spirit des MTB auf die elektrischen Kollegen zu übertragen? David Doenigus: Wir hatten immer die Vorstellung, so nah wie möglich am herkömmlichen MTB zu bleiben. Unsere Entwicklung lief immer in diese Richtung. Die Schwierigkeit ist aber, dass die eMTB-Komponenten, also hauptsächlich Akku und Motor, viel Platz brauchen. Deshalb haben wir schon vor über vier Jahren umgestellt und ein Bike mit komplett integrierter Antriebseinheit auf den Markt gebracht. Das erste Bike mit Brose-Antrieb haben wir 2013 auf der IAA, der Internationalen Automobilausstellung, vorgestellt. Neben der gefälligen Optik kommt uns dabei zugute, dass der Brose-Motor von Mitte Achse bis Ende Motor sehr kompakt ist. Wir können Hinterbauten realisieren, die keine 500 mm lang sind, sondern nur 450 mm. Das sind Welten. pedaliéro: Rotwild eine treue Fangemeinde in der Mountainbike-Szene, wie haben Kunden und Händler auf diesen Strategiewechsel reagiert? PS: Vom Handel haben wir ein extrem gutes Feedback bekommen, wir investieren auch viel in den Handel. Wir haben in diesem Jahr bereits 16 Schulungen abgehalten, in Kleingruppen, der Außendienst macht außerdem auch Schulungen vor Ort. Das ist auch für uns ein guter Austausch, weil wir so viele Problemchen oder Ideen mitbekommen, die wir sonst vielleicht nicht gehört hätten. Auch die Kunden haben das Thema sehr positiv aufgenommen, die Nachfrage ist hervorragend, was nicht selbstverständlich ist, da der zu investierende Preis ja deutlich nach oben gegangen ist. Im Moment ist das teuerste Modell sogar noch gefragter als das Einstiegsmodell. Das ist wirklich Wahnsinn, das sind immerhin Räder, die im Schnitt 7.000 bis 8.000 Euro kosten. Für die Händler ist es eine riesige Herausforderung, weil damit auch die ganze Finanzierung brutal nach oben geht. Dadurch leidet das herkömmliche MTB-Geschäft natürlich, es steht im Moment leider etwas im Schatten des eMTB. |
pedaliéro:
Siehst du das auch mit einem weinenden Auge? PS: Na klar, ich fahre zwar im Moment auch viel eBike, das liegt allerdings auch daran, dass meine Kumpels alle topfit sind und ich nur alle zwei Wochen mal mitfahren kann. Und bevor ich mich am Sonntag dann ins Sauerstoffzelt lege, fahre ich halt mit dem eBike. Damit kompensiere ich dann das, womit die anderen gedopt sind … (lacht) pedaliéro: Logisch, was sonst, irgendwoher muss es ja kommen! PS: (lacht) Nein, es ist schon schade. eBikes sind faszinierend, aber ich finde es eigentlich immer noch viel zu schwer. Ein eBike hat zwei totale Demotivationsfaktoren: erstens, wenn es mal nicht geht, und zweitens, wenn du es tragen oder transportieren musst. Ich fahre es unheimlich gerne, aber auch unter der Voraussetzung, dass ich ebenerdig in meine Garage reinfahren und das eBike dort einstöpseln kann. pedaliéro: Der nächste Entwicklungsschritt ist es also, die Räder richtig leicht zu machen? PS: Das wird leider nicht so einfach gehen. In Deutschland ist es ja so, dass automatisch alles besser ist, was größer ist. Das hat man ja schon beim Auto-Quartettspiel gelernt, mehr PS ist besser, höheres Gewicht ist besser, obwohl das natürlich falsch ist. Insofern wird man kaum von gewissen Standards runterkommen, wie zum Beispiel einem 600-Wh-Akku. Diese Räder wird es immer geben, und da wird es unheimlich schwer werden, unter 20 Kilogramm zu kommen. DD: Das Gewicht wird im Akku gefunden. Du hast immer ein 36-Volt-System, eine Zelle hat 3,6 Volt, das bedeutet, dass du immer zehn Zellen brauchst, die du in Serie schaltest, um auf die 36 Volt zu kommen. An diese Anordnung bist du gebunden. Deshalb gibt es auch immer nur 10er-, 20er-, 30er-, 40er-, 50er-Zellen-Akkus. Du kannst am Gewicht knausern und weniger Zellen verbauen – aber dann knauserst du auch mit der Leistung. pedaliéro: Die eMTB können in Zukunft also nicht viel leichter werden? PS: Ich glaube, es wird sich splitten, die klassischen Mittelmotor-eBikes, leistungsstark und schwer, wird es weiterhin geben, dazu kommen dann leichte Bikes mit weniger Reichweite für Leute, die sagen „Ja, ich möchte etwas Unterstützung, aber nicht für die ganze Tour, sondern etwas, das ich temporär einsetzen kann, zum Beispiel bergauf“. Dafür brauchen wir aber erst auch einmal die passenden Motoren und Akkus, dann sind Radgewichte um die 15 bis 16 Kilogramm denkbar. DD: Man wollte in der Vergangenheit immer extrem nah am Fahrrad bleiben, sowohl optisch als auch technisch. Diesen Trend sehe ich auch in Zukunft so, dazu müssten die Bikes tatsächlich noch leichter werden. Die andere Richtung werden noch spezialisiertere eMTB sein, noch kräftiger, mit noch mehr Reichweite, die optisch vielleicht auch neue Wege gehen, etwas weg vom herkömmlichen Fahrraddesign. Die Akzeptanz ist inzwischen da, du willst nicht mehr verstecken, dass du ein eMTB fährst. Du hast einen großen Akku – also zeige ihn auch! |
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PS:
In puncto Reichweite sehe ich Potenzial, indem man die Effizienz verbessert. Es geht nicht darum, immer stärker zu werden, den immer größeren Akku, den immer kräftigeren Motor zu haben, sondern eher darum, das smarteste Konzept zu liefern. Wie die Leistung optimal genutzt wird. Dann kann auch der Akku wieder kleiner werden und das Rad leichter, oder man vergrößert die Reichweite. pedaliéro: Viele Biker wünschen sich eine Reichweitenangabe auf den Rädern. Ist das in Zukunft bei euch angedacht? DD: Das ist ein sehr komplexes Thema. Du hast unterschiedliche Fahrräder, mit unterschiedlichen Schaltungen, mit unterschiedlichen Wirkungsgraden, dann hast du unterschiedliche Fahrer, mit unterschiedlicher Trittfrequenz, mit rundem Tritt oder nicht so rundem, unterschiedlichem Körpergewicht, unterschiedlicher Größe, unterschiedlichem Trainingszustand. Dazu kommen unterschiedliche Streckenprofile, Wind und so weiter. Selbst bei einem Elektroauto ist es sehr, sehr schwierig, die Reichweite anzugeben, und dort treten einige der oben genannten Faktoren gar nicht auf. pedaliéro: Könnte das nicht auch Aufgabe der Motorenhersteller sein, hier Standards zu entwickeln? PS: Vielleicht, aber im Moment haben wir Hersteller zu wenig Einfluss auf die Motorenhersteller. Schau dir mal an, wie ein normales Tretlager eingebaut ist – und wie ein eBike-Motor. Asymmetrisch verwinkelt, mit drei Schrauben befestigt, das Motorengehäuse als ein tragendes Teil … Da gibt es noch einiges an Verbesserungspotenzial, aber das ist frühestens in der übernächsten Motorengeneration zu erwarten. pedaliéro: Wie fühlt es sich an, Vorreiter einer Technologie zu sein, auf die andere schauen, die als Vorbild für ein modernes Fahrradkonzept gilt? DD: Vor vier, fünf Jahren, als wir unsere ersten Mountainbikes aus der aktuellen Linie vorgestellt haben, war es mir immer zu viel zu sagen: „Wir sind die ersten, die es geschafft haben, Motor und Akku zu integrieren“. Allerdings hatte das damals niemand so wie wir, somit haben wir schon diesen Maßstab gesetzt. Wenn du im letzten Jahr über die Eurobike-Messe gegangen bist und gemerkt hast, dass die anderen drei Jahre gebraucht haben, um aufzuholen, da ist mir eigentlich erst mal bewusst geworden, was wir da geschafft haben. Man wird auch ein bisschen betriebsblind. Wenn das Marketing diesen Punkt dann in den Fokus rückt, ist es einem dann schon wieder too much. Aber man muss es schon sagen: Diesen Schritt sind wir vor den anderen gegangen. Das können wir mit breiter Brust sagen. pedaliéro: Peter, David, vielen Dank für das Gespräch! Bilder: Jan Volbracht / Text: Andreas Sawitzki |